Sensitiv Wahrnehmen - Erfahre die Welt um dich herum und erkenne dich selbst
Von Josina Keuskamp - van Schaik
Was bedeutet die Inschrift “Gnoti Seauton”, “Erkenne dich
selbst” auf dem berühmten Apollo-Tempel in Delphi? Ich denke, sie
erinnert uns an den Grund, warum wir leben: Wir sollen herausfinden, was wir
sind und was wir in dieser Welt machen sollen. Seit die Menschen angefangen
haben zu denken, fragen sie sich: “Was bin ich?”, “Wer bin
ich?”, “Warum bin ich hier?”, “Wohin gehe ich?”,
“Gibt es irgendetwas Neues unter der Sonne?”, “Was ist dieser
Planet, auf dem ich lebe?”, “Was ist eigentlich hier los?”.
Diese Neugierde, dieser Wissensdurst, dieser angeborene Drang, uns selbst und
unsere Umgebung kennenzulernen, treiben uns immer wieder an, Bücher zu
lesen oder Menschen zu suchen, die uns vielleicht eine Antwort geben können.
Dabei sind wir alle mit einer entscheidenden Erkenntnisquelle und einem Erkenntniswerkzeug
schon auf die Welt gekommen: mit unserem Körper, seinen Sinnen und Fähigkeiten,
mit denen wir ganz unmittelbar erleben können, was wir als Mensch sind
oder vielleicht sein können und was sich hinter dieser großen Geschichte,
dem Geheimnis des Lebens vielleicht noch verbirgt.
Sensitives Wahrnehmen ist die Kunst, die Welt um uns herum anders und tiefgründiger
als im Alltag zu entdecken und dadurch in einem neuen Licht wahrzunehmen. Vom
ersten Atemzug an versuchen wir Menschen, die Fülle der Eindrücke,
die unser Körper aufnimmt, zu verstehen und zu interpretieren. Jeder kennt
das staunende Baby, das mit großen Augen die Bewegung seiner eigenen Finger
betrachtet oder hellwach den Kopf in die Richtung dreht, aus der ein Geräusch
kommt – man spürt förmlich wie alle seine Sinne ausgefahren
sind, um zu registrieren, was da vor sich geht. Man kann sagen, wir Menschen
leben in einer hochkomplizierten und äußerst sensitiven Maschine,
eben in unserem Körper. Mit seinen fünf Sinnen tastet er ständig
die Welt um sich herum ab. Redensarten wie: „Steck deine Nase nicht da
rein“ oder „jemanden gut riechen können“ machen dies
deutlich. Ununterbrochen werden Signale aufgenommen und an uns weitervermittelt.
Unsere Sinne und unser Gehirn leisten Außerordentliches, indem sie Farben,
Bilder, Gerüche, Klänge, geschmackliche Eindrücke, die auf uns
einströmen, für uns übersetzen und analysieren. Sensitive Wahrnehmung
bedeutet, sich dieser Fähigkeiten bewusst zu sein und sie regelmäßig
zu üben, um so die feineren Schwingungen des Lebens in uns und um uns herum
besser zu registrieren, zu übersetzen und zu verstehen. Sensitive Wahrnehmung
offenbart uns auch mehr über uns als Menschen und kann so unser Selbstverständnis
in ein neues Licht rücken.
Vielfalt sensitiver Wahrnehmung
Unser Körper ist ein scharfsinniges, genaues, aufmerksames, analytisches
Wunderwerk, ein Meisterdetektiv. Wenn wir einen Raum betreten, den wir nicht
kennen, registriert etwas in uns in Sekundenbruchteilen seine Größe,
Proportionen, Ausstattung und Atmosphäre. Der bewusste Teil von uns bekommt
nur einen Bruchteil dieser Informationen mit, nämlich das, was ihm wichtig
erscheint. Unser Körper jedoch nimmt Dinge effizienter und besser wahr
als wir selbst. Ob wir auf seine Botschaften hören und sie interpretieren
können, hängt davon ab, wie wir uns selbst instruiert haben, und
ist Übungssache. Normalerweise sieht man nur das, was man ohnehin schon
weiß.
Sensitives Wahrnehmen ist die Fähigkeit, das wahrzunehmen,
was tatsächlich
geschieht, und nicht, wie üblich, nur das im Blick zu haben, was unserer
Meinung nach vor sich geht, wenn wir die Welt gewissermaßen durch eine
farbige Brille sehen, die Brille unserer Erwartungshaltungen, Hoffnungen, Sehnsüchte
und Frustrationen. Sensitives Wahrnehmen ist der Versuch, einen Zugang zu finden
zum Kern, zum Inneren, zum Wesen der Dinge. Auf diesem Wege können wir
die Eigenschaften, die Beschaffenheit von Bäumen, Pflanzen und Mineralien
kennenlernen oder menschliche Verhaltensweisen besser verstehen. Kurz gesagt
können wir so mit der Welt um uns herum besser und feinfühliger kommunizieren.
Können wir den Unterschied wahrnehmen, in einer Gegend mit Lehmboden oder
in einer Gegend mit felsigem Untergrund zu wohnen, im Tal oder im Gebirge zu
leben? Spüren wir den Einfluss fließenden Wassers und die Auswirkungen
der Erdmeridiane? Wie wirkt ein Kristall, den man in der Hand hält, oder
ein Edelstein oder Ring am Finger?
Wenn man in der Lage ist, sensitiv wahrzunehmen, dann eröffnet sich allmählich
ein neues Weltverständnis ohne persönliche Bewertung oder Beurteilung.
Sensitiv Wahrnehmen in der Natur
Hier einige Tipps, falls Sie sich demnächst auf den Weg machen, ihre Umgebung
neu zu erkunden: Versuchen Sie als erstes verschiedene Einflüsse zu erspüren:
Welche Pflanzen und Bäume wachsen hier? Wie ist der Ort in die Landschaft
eingebettet? Aus welcher Erde besteht der Boden? Wie sind Wasser, Licht und
Luft beschaffen? Ist die Atmosphäre geladen oder entspannt, beruhigend
oder belebend? Weiß man von geschichtlichen Ereignissen, die sich hier
zugetragen haben? Woher sind die Menschen gekommen, die hier leben?
Wenn wir unsere sensitiven Systeme der Informationsverarbeitung und -analyse
richtig befragen, lernen wir Aspekte des Lebens zu verstehen, die uns sonst
verborgen sind. Dann erfahren wir z.B., dass Hügel und Berge wie Radiosender
elektromagnetische Signale ausstrahlen, während Ebenen und Täler
wie Empfangsstationen eher Einflüsse absorbieren, aufnehmen und evtl.
speichern. Das wirkt sich auch auf die Menschen aus, die dort wohnen. Stimmt
es, dass Kamille in einer ruhigen und friedlichen Umgebung wächst, während
Mohnblumen dort zu finden sind, wo einmal Blut vergossen wurde?
Viele Eichhörnchen können ein Zeichen dafür sein, dass besonders
quirlige Energien präsent sind, welche die Aktivität fördern.
Wo mehrere Platanen nebeneinander stehen, fällt es meist leicht, sich
auszuruhen und auch über seine Zukunft nachzudenken. So gibt es Orte,
die positiv auf Gemüt, Nerven oder Stimme wirken. Vielleicht versteht
man auf einmal, warum Hunde den Mond anheulen, welche unterschiedliche Wirkung
Kleidung aus Baumwolle oder Seide hat oder warum eine bestimmte Musik der Gesundheit
zuträglich ist. Die Schulung sensitiver Wahrnehmung ist eine Entdeckungsreise.
Wagen wir den ersten Schritt! Wagen wir das Abenteuer! Lassen wir unserem Entdeckerdrang
freien Lauf! Werden wir wieder so richtig neugierig!
Ich unterhielt mich mit den Niederländern Ge und Lied Weber, Paul Keuskamp
und Barry Wentzel, die bereits seit mehreren Jahren zusammen mit Freunden aus
Deutschland, England und Dänemark die Kunst der sensitiven Wahrnehmung üben
und weiterentwickeln. Sie organisieren Touren zu archäologischen Stätten,
Museen, religiösen Stätten, militärischen Gedenkstätten,
Burgen und Kathedralen, zu Orten also, an denen die menschliche Vita und Leidenschaft
besondere Spuren für all jene hinterlassen hat, die sie zu lesen verstehen.
Barry Wentzel: Wenn ich sensitiv wahrnehmen will, bereite ich mich vor,
um wirklich offen zu sein: Ich versuche mit neutralem Bewusstsein zu registrieren,
was mich umgibt, und so die in mir aufsteigenden Gedanken, Assoziationen und
Tagträumereien zu ignorieren, beiseite zu lassen. Ich gewinne so Distanz
zu dem unkontrolliert zerstückelten Alltagsdenken, ein Zustand, den ich
sehr schätze. Mit dieser inneren Voraussetzung kann ich mich auf die Dinge
einstimmen, die ich studieren möchte. Wenn ich also durch die Natur gehe,
möchte ich ein Teil von ihr werden und in Einklang mit ihr sein.
Auf dem Lande versuche
ich festzustellen, wie die Landschaft sich anfühlt.
Ich beobachte die vorherrschenden Farben und Formen, die Pflanzen und die Tierwelt,
die geologischen Formationen usw. Sicher haben Sie schon einmal bemerkt, dass
Vögel manchmal in einer eigenartigen kegelförmigen Formation ihre
Kreise ziehen. Sie zeigen uns so, welche Energien gerade präsent sind.
Vögel sind nämlich sehr empfänglich für elektromagnetische
Einflüsse.
Paul Keuskamp: Durch sensitive Wahrnehmung entwickeln wir ein Feingefühl
dafür, wie unser Körper unmittelbar auf äußere Eindrücke
reagiert. Man sagt doch auch, der erste Eindruck ist zumeist der richtige.
Unser Instinkt und unsere Intuition sind sehr wichtige Fähigkeiten, die
bei uns oft nur schwach entwickelt sind. Eine Methode, Intuition zu entwickeln
ist, sich an einen Ort wie z.B. den Eingang eines historischen Gebäudes
zu setzen, wo über Jahrhunderte hinweg viele Leute ein- und ausgegangen
sind. Sitzen Sie ruhig, abwartend und innerlich aufnahmebereit und versuchen
Sie gleichzeitig, den ständigen Gedankenfluss im Gehirn zu beruhigen.
Dann kann es sein, dass Sie feststellen, dass andere Gedanken oder Bilder in
Ihnen auftauchen, die mit dem Alltagsgeschehen nichts zu tun haben, oder Sie
spüren plötzlich, dass Sie etwas Bestimmtes tun wollen, zum Beispiel
auf und ab gehen. Und später stellen Sie womöglich fest, dass an
dem Platz, an dem Sie gesessen haben, in früheren Zeiten ein Wachposten
war, wo die Wachen ständig auf und ab gegangen sind. Zufall? Es ist durchaus
möglich, dass wir eine Art Schwingung aus früheren Zeiten spüren,
vielleicht hat sogar ein besonders markantes Ereignis seine Spuren energetisch
in Raum und Zeit hinterlassen. Besuchen wir deshalb nicht auch historische
Orte, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie das Leben früherer
Generationen aussah und sich anfühlte? Ein Geschichtsbuch kann das nicht
vermitteln! Unser Körper kann viel mehr, wenn wir ihn und uns selbst nur
lassen. Das ist meine Erfahrung.
Lied Weber: Als Kind beobachtet man ständig, welche Farbe ein Ding
hat, wie groß es ist usw. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als
kleines Kind neugierig auf alles in meiner Umgebung war. Und ich bin es immer
noch mit meinen 74 Jahren. Ich habe mich ständig in meinem Leben gefragt,
warum die Dinge so funktionieren, wie sie funktionieren. Ich habe auch schon
immer Dinge gesehen oder gefühlt, die andere Leute nicht sehen konnten,
wie zum Beispiel Farben. Darüber wollte ich dann mehr erfahren. Oder gelegentlich
hatte ich das Gefühl, eine Art inneres Wissen, dass ich einen bestimmten
Ort besser verlassen sollte. An anderen Plätzen wiederum spüre ich,
dass eine besondere Kraft oder Präsenz anwesend ist. Das ist ein seltsames
Gefühl und doch gleichzeitig sehr real. Wenn man seine Sensitivität
schulen will, kann man sich die Frage stellen: Was ist die eigentliche Ursache
von etwas? Warum ist etwas so, wie ich es vorfinde? Wenn man die Wirkung eines
Platzes innerlich spürt, kann man auf Ursachen schließen. Je öfter
man das macht, desto mehr scheint sich eine andere, eine feinfühligere
Art der intuitiven Wahrnehmung einzuschalten. Ich glaube, dass ich heute eine
bessere Vorahnung für bestimmte Dinge habe als früher.
Ge Weber: Es sind normalerweise unsere fünf Sinne, Hören,
Sehen, Schmecken, Fühlen und Riechen, die uns sensitiv wahrnehmen lassen.
Wenn man seine Aufmerksamkeit bewusst darauf richtet, welche Eindrücke
diese Sinne empfangen, dann kann man seine Aufnahmefähigkeit um ein Vielfaches
erhöhen. Aber es gibt auch eine Welt jenseits der fünf Sinne, und
da kommen feinere Arten der Wahrnehmung ins Spiel. Zu unserer Außenwelt
gehören zahlreiche ungesehene und ungefühlte Einflüsse, die
jenseits unseres normalen Empfindens liegen. Viele Menschen wissen beispielsweise,
dass es auf der Erde Meridiane gibt, und doch können sie bisher nicht
mit Messgeräten nachgewiesen werden. Viele solcher Erscheinungen können
wissenschaftlich nicht beobachtet werden, öffnen sich aber unserer eigenen
Erfahrung. Wenn unsere Hände durch Übung empfindsamer werden, dann
können sie z.B. Strahlung spüren, die man nicht sehen kann. Ich arbeite
oft auch mit Ruten, die ich aus metallenen Kleiderbügeln herstelle, die ähnlich
wie Wünschelruten funktionieren und auf elektromagnetische Energien reagieren.
Wenn man lernt, sie zu benutzen, kann man mit ihnen Kraft- oder Energielinien
wie Wasseradern und Erdmeridiane aufspüren. Es ist für mich äußerst
faszinierend, die Beziehung zwischen Meridianen und den Standorten von Kirchen
oder Kathedralen zu studieren und sich eigene Karten davon anzulegen.
Lied Weber: Man kann auch die Ausstrahlung von Tieren, Bäumen
und Pflanzen erspüren. Im Frühjahr haben Bäume zum Beispiel ein
riesiges Energiefeld über sich, das sich auflöst, sobald die ersten
Blätter kommen.
Immer wieder veranstalten wir geführte Wahrnehmungs-Touren. Ein Ort, den
wir häufig besuchen, ist die ägyptische Abteilung des Archäologischen
Museums in Leiden. Sensibilisierungsübungen zu Beginn sollen z.B. die Hände
der Teilnehmer feinfühliger zu machen. Dann erfühlen wir verschiedene
Ausstellungsgegenstände, z.B. Statuen. Außerdem trainieren wir unsere
Beobachtungsgabe, um neue Wege zu finden, diese alten Kulturen zu betrachten
und zu verstehen. Wenn man seine Wahrnehmung nicht übt, dann bleiben die
Statuen nichts als tote Steine ohne Bezug zu unserem Leben. Wenn man sich aber
feineren Empfindungen öffnet, wird die Welt um ein Vielfaches interessanter,
als sie es jetzt schon ist.
Ge Weber: Sensitive Wahrnehmung führt auch zu einer höheren
Wertschätzung unseres menschlichen Lebens überhaupt. Wir lernen, nichts
als selbstverständlich hinzunehmen, und das erlaubt uns mit frischem Schwung
an die Dinge heranzugehen. Und je öfter wir üben, desto öfter
erfahren wir, dass wir Menschen Teil einer höchst erstaunlichen Welt sind.
Wenn Sie Abenteuer suchen, ist dies ein ganz besonderes! Man findet nicht immer
eine Antwort, aber man dringt tiefer in die Geheimnisse ein, die in allem verborgen
sind.
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