ADS-Kinder gewinnen Vertrauen in ruhiger Umgebung
Über die Arbeit mit ADS-Kindern
Ruhige Orte sind in unserer hektischen Welt nicht immer leicht
zu finden. Wir brauchten eine ganze Weile, um das abgelegene Schulgebäude
mitten auf dem Land ausfindig zu machen, wo Ingrid Bunnik mit Kindern arbeitet,
die am Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) leiden. Schließlich wurden
wir mit Hilfe unserer Handys zu der Schule geleitet, in der wir uns mit Ingrid
über ihre Arbeit unterhalten wollten.
Ingrid
Bunnik hat freundliche, eindringliche Augen und eine sehr bodenständige
Lebensauffassung. Ausgebildet als Cesar-Therapeutin, arbeitet sie seit über
elf Jahren mit Kindern an unterschiedlichen Schulen. Vor sieben Jahren gründete
sie gemeinsam mit gleichgesinnten Freunden ihr eigenes Trainingsinstitut. Während
ihrer ersten Berufsjahre fand sie heraus, dass viele Kinder, die bei ihr Hilfe
suchten, sehr ähnliche Symptome aufwiesen, wie z.B. Koordinationsprobleme,
Konzentrationsstörungen, Hyperaktivität, Überempfindlichkeit,
Gefühlsausbrüche, Klammerverhalten, Versagensängste etc. - Symptome,
die bei Kindern auftreten, bei denen ADS diagnostiziert wird. Ingrid denkt aber
lieber nicht an die Diagnose, wenn sie die Kinder trifft.
Ingrid: „Auch wenn eine Diagnose gebraucht wird, um
ein mögliches Heilmittel zu finden, kann sie der betreffenden Person doch
ein Gefühl der Unzulänglichkeit vermitteln und Selbstvertrauen vermindern.
Die Symptome von ADS ähneln den Symptomen von Stress; es stellt sich eine
Flucht- oder Kampfreaktion ein, die eigentlich für das Überleben sorgen
soll, aber das Denkvermögen verringert. Nach einiger Zeit setzt sich dieses
Verhaltensmuster dann durch und kann schwer wieder rückgängig gemacht
werden. Wenn Stressfaktoren gelindert oder vermindert werden, kann das helfen,
ADS-Verhaltensmuster abzuschwächen. Prozesse, die bei solchen Verhaltensweisen
unterdrückt werden, wie z.B. Denken, das Einschätzen von Situationen
und das Treffen von Entscheidungen, können dann stimuliert werden.
Die Kinder und Jugendlichen, mit denen ich arbeite, sind 3 bis 20 Jahre alt.
Sie haben einmal in der Woche einen Termin bei mir, gewöhnlich in Begleitung
ihrer Mutter. Ihre Probleme sind oft das Ergebnis einer Art psychologischer
Fixierung oder Blockade, so herrscht oft das Gefühl vor, perfekt sein zu
wollen, aber auch die Angst vor Tadel oder die Einstellung „Keiner liebt
mich”. Die Jugendlichen sollten dann entgegengesetzte Gefühle erfahren,
z. B. dass man Spaß haben kann, obwohl man ein Spiel nicht gewinnt, oder
dass es in Ordnung ist, Fehler zu machen, weil man noch einmal von vorne anfangen
kann. Diese Art von Erfahrungen befreit die natürlichen Fähigkeiten.
Wir verbringen viel Zeit in der Turnhalle, draußen auf dem Sportplatz
oder im Garten. Die ruhige Umgebung und die Gestaltung der Schule helfen uns
dabei sehr.”
Topaz: Wie bauen sie einen Kontakt zu den Kindern auf, die
ja sehr sensibel sind?
Ingrid: “Bei ihrem ersten Besuch in der Schule zeige
ich ihnen das ganze Gebäude und Gelände von innen und außen,
damit sie wissen, wo sich alles befindet - die Toiletten, die Heizung, die Küche,
das Büro, die Fische, der Garten, alle Leute, einfach alles. So fühlen
sie sich sicherer und ein Stück zu Hause, und sie haben Zeit, sich an meine
Stimme und meine Geschwindigkeit zu gewöhnen. Die Kinder müssen fühlen,
dass sie willkommen sind. Ich erzähle ihnen, dass viele ihrer Probleme
hier gelöst werden können, wenn sie daran arbeiten möchten. Ich
ermutige sie dazu, dass sie sich selbst klarmachen, was sie ändern wollen
und worin sie besser werden wollen. Und ich frage sie natürlich, ob sie
wiederkommen wollen. Wenn sie ja sagen, machen wir weiter. Ich habe bis jetzt
noch kein Nein gehört.”
Topaz:
Und wie arbeiten Sie dann mit den Kindern?
Ingrid: “Ich lasse die Kinder viel mit ihrem Körper
arbeiten. Durch tiefes Seufzen kann man zum Beispiel Spannungen abbauen. Seufzen
ist eine andere Form von Ausatmen; es trägt dazu bei, Spannungen loszuwerden
und fördert die Entspannung. Das moderne Leben fordert ein ständiges
„Einatmen” von Eindrücken, und es kann eine Kluft entstehen
zwischen der Menge, die man „einatmet“, und der Menge, die man „ausatmet“.
Dinge werden nicht mehr losgelassen. Wenn das Kind nun einen tiefen Seufzer
ausstößt, fühlt es sich oft auf der Stelle besser!
Meistens sind die Kinder zu vielen Eindrücken ausgesetzt und können
sie nicht filtern. Ich helfe ihnen, neue Filter zu schaffen. Während wir
Spiele spielen, benenne ich das, was wir tun, und frage die Kinder einfache
Sachen - ihren Namen, die Geräusche, die sie hören, die Dinge, die
sie sehen, den Wochentag, wie sie sich heute fühlen, wie sich ihr Körper
fühlt, wie entspannt sie sind, was in ihrem Kopf vor sich geht, welche
Gedanken oder Sorgen sie haben. Die Innenwelt und die Außenwelt müssen
bewusst benannt werden, um Ordnung in das Chaos der verschiedenen Eindrücke
zu bringen, die in großer Masse auf die Kinder einstürzen.
Wir machen alle möglichen Arten von Spielen und Übungen; Ball spielen
und dabei zählen, auf einem Schwebebalken balancieren, Bewegungen und Sprechen
in verschiedenen Geschwindigkeiten und so weiter. Ich halte eine reichhaltige
Palette an verschiedenen Übungen bereit, lasse mich aber auch von meiner
Intuition leiten, wenn ich einem Kind ein bestimmtes Spiel vorschlage, oder
ich frage es, was es an diesem Tag gerne machen möchte. Es ist wichtig,
dass nicht zu viel Druck auf die Kinder ausgeübt wird, denn das blockiert
ihre Systeme und bewirkt das Gegenteil von dem, was wir mit dem Programm erreichen
wollen...
Über die Jahre habe ich eine Methodik entwickelt, die ich „Pentabalance“
nenne. Penta steht für den menschlichen Körper mit seinen fünf
Sinnen, und Ziel ist es, ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen
Sinnen herzustellen. Spiele, Sensitivitätsübungen und Spaß werden
hier miteinander gemischt. Auf die Idee kam ich durch meine Mitarbeit beim Template
Netzwerk in Holland, wo wir seit Jahren das Position-Purple-Training weiterentwickeln.”
Topaz: Über was reden Sie mit den Kindern während
eines Besuchs?
Ingrid: “Die Gespräche können locker oder
ernst sein, es hängt davon ab, was vor sich geht und seit dem letzten Termin
vorgefallen ist. Ich reflektiere den Fortschritt und die Qualitäten, die
ich bei den Kindern beobachte, und dadurch lernen die Kinder ihre Erfolge selbst
wahrzunehmen. Es ist unbedingt erforderlich, dass die jungen Menschen realisieren,
dass sie tatsächlich die Wahl haben, nicht länger Opfer der vielen
äußeren Einflüssen und ihrer eigenen Verhaltensmustern zu sein.
Es ist nicht leicht, aber es ist möglich, Schritt für Schritt neue
Verhaltensmuster anzunehmen und zu lernen, zu agieren anstatt zu reagieren.”
Topaz:
Wie lange dauert es, bis sich Verhaltensmuster ändern?
Ingrid: “Das kann ein ganzes Leben lang dauern! Unsere
eigenen Muster kennen zu lernen, zu erkennen und zu verstehen ist eine Herausforderung,
die nicht immer leicht fällt. Ich initiiere einfach diesen Prozess, und
nach einer gewissen Zeit – sagen wir neun Monate – fühlt sich
der Jugendliche stark genug, um mit eigener Kraft und eigenem Vertrauen weiterzumachen.
Bis dahin hat er sich selbst bewiesen, dass es in seinem Inneren einen Ort des
Friedens und der Ruhe gibt, an den er zurückkehren kann, wenn er es möchte.
Außerdem hat er einige Methoden kennen gelernt, Spannungen abzubauen und
unnötige oder unerwünschte Energien abzuladen. Er hat die Fähigkeit
erfahren, in Konfliktsituationen ein neutraler Beobachter zu sein, seine Erfolge
zu zählen und sich selbst zu sagen, was er will und was er nicht will.
Damit hat er eine Art Werkzeugkasten erhalten. Natürlich sage ich ihm auch,
dass das Leben nicht ohne Widerstand und Prüfungen abläuft, aber dass
ein weiser Mensch dies nützt, um stärker zu werden.”
Topaz: Wie erklären Sie sich den massiven Anstieg von
ADS in der Welt?
Ingrid: “Meiner Ansicht nach spiegelt er wider, wie
viel Chaos und Druck und wie wenig Zeit für Ruhe es in unserem heutigen
Leben gibt. Ich habe eine interessante Entdeckung gemacht während meiner
eigenen Schwangerschaft. Im Verlauf der Schwangerschaft musste ich öfter
ausruhen und wurde dadurch innerlich immer ruhiger. Ich stellte fest, dass die
Kinder, mit denen ich während der Schwangerschaft arbeitete, stark auf
diese innere Ruhe ansprachen, dass diese Ruhe sie sehr besänftigte. Das
hat mir gezeigt, wie stark wir unsere Umgebung durch die Art, wie wir sind,
beeinflussen.
Kinder sind offen und sensibel, und ihr Innenleben muss mit den vielen Aspekten
des modernen Lebens zurecht kommen. Entweder wird ein Kind überladen, durch
den Überfluss an Eindrücken und es kommt zu einem Kurzschluss wie
in einem überlasteten Elektrogerät, oder ein Kind verliert den Kontakt
zur Wirklichkeit, schließt sich ab und wird härter.”
Topaz: Warum ist Ihre Methode so erfolgreich?
Ingrid: “Ich denke, es hat viel damit zu tun, dass ich
an das glaube, was ich mache, und dass ich es auch in meinem eigenen Leben in
die Tat umsetze. Je mehr man selbst das macht, für das man sich einsetzt,
desto mehr schafft man eine Atmosphäre, in der die eigene Überzeugung
auf andere „überspringen” kann.
Topaz: Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Ingrid: „Meine Vision ist, in Zusammenarbeit mit Eltern,
Lehrern und allen Interessierten ein Klima zu schaffen, in dem Kinder selbst
das entwickeln können, was sie brauchen.”
Der Abend ist vergangen und für uns ist es Zeit zum Aufbruch. Draußen
im Garten fallen uns die Konturen einer Hängematte und eines langen Schwebebalkens
auf. Wir vereinbaren mit Ingrid, dass einer von uns bei Tageslicht zurückkehren
wird, um ein paar Fotos zu schießen. Als wir im Dunkeln nach Hause fahren,
fühlen wir in uns eine ungewöhnliche Wärme und Stille. Einer
von uns spricht den Gedanken aus, der uns beide beschäftigt: Zum Leben
braucht man Mut und Vertrauen. Bei Ingrid Bunnik haben wie diese Qualitäten
erfahren.
Von Lotten Kärre und Ton Hettema
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